MÄRCHENWALD ERWEITERN!

Am 22.9.2021 entschied sich der Rat der Stadt Einbeck für eine Teil-Erweiterung des Märchenwaldes um die südlich gelegene Abteilung 30.
Sie vergrößert den bisherigen Märchenwald um 15,4 ha auf insgesamt knapp 39,2 ha. Damit ist immerhin auf 6,8 % der Stadtwaldfläche eine natürliche Waldentwicklung gewährleistet und eine bessere Absicherung des Überlebens von Altholzarten im Sinne einer Habitatkontinuität gegeben.
Das Zehnprozentziel der Biodiversitätsstrategie hat die Stadt Einbeck damit jedoch noch nicht erreicht.

Diese Seite stellt die fachlichen Gründe für die Erweiterungsanträge zur Vergrößerung des Märchenwaldes vor und bietet einen fotografischen Einblick in die beiden beantragten Erweiterungsflächen (Bilder dazu bitte anklicken bzw. auf dem Smartphone antippen und anschließend größer ziehen).

Mit der Entlassung des Kerns des Märchenwaldes aus der forstwirtschaftlichen Nutzung im Jahr 2012 hat die Stadt Einbeck 24 Hektar vom für den Naturschutz bedeutendsten Stadtwald-Teil geschützt. Sie hat damit knapp die Hälfte des Zehn-Prozent-Ziels von Wald in natürlicher Entwicklung umgesetzt. Nach acht Jahren könnte nun endlich das volle Ziel im Stadtwald angestrebt werden: Die "Nationale Strategie zur Biologischen Vielfalt" sieht zum Jahr 2020 ein Ende der Holznutzung auf 10 % der öffentlichen Waldfläche vor – das wären im Einbecker Stadtwald ca. 56 Hektar.

Angesichts der großen naturschutzfachlichen Bedeutung des Märchenwaldes, sowie der anstehenden Umstrukturierung der Stadtwald-Betreuung (Stadtförster Weinreis geht Mitte 2020 in den Ruhestand), ist eine Entscheidung für eine Ausweitung der Märchenwaldfläche überfällig. Eine Erweiterung – zumindest um die für den Naturschutz wertvollsten angrenzenden Flächen – fordern von der Stadt Einbeck die an den Untersuchungen im Märchenwald beteiligten WissenschaftlerInnen, Naturschutzbeauftragte und beteiligten VertreterInnen der Umweltverbände BUND, UMWELTSTIFTUNG GREENPEACE, NABU, ROBIN WOOD.

Seit der ersten Antragstellung für die Erweiterung im Oktober 2019 hatte die Stadt Einbeck eine Entscheidung über die Erweiterung des Märchenwaldes mehrfach vertagt und schließlich in gemeinsamer Sitzung des Ausschusses für Umwelt, Energie und Bau und des Ausschusses für Finanzen und Rechnungsprüfung am 10.3.2020 beschlossen, eine Entscheidung erst zu treffen, wenn die Nachfolge des Stadtförsters geregelt ist.
Der Antrag auf Erweiterung des Märchenwaldes wurde am 17.11.2020 erneut bei der Stadt Einbeck eingereicht, da nach der Neuregelung der Beförsterung des Stadtwaldes (seit August 2020 betreut das Forstamt der Stadt Moringen den Einbecker Stadtwald) einer positiven Entscheidung nichts mehr im Weg stehen sollte. Die Ratsmitglieder hatten dennoch eine Entscheidung in den Herbst 2021 hinausgeschoben und schließlich mit knapper Mehrheit nur für eine Teilerweiterung um die wirtschaftlich unattraktivere (geringer Holzwert) Abteilung 30 gestimmt.
Damit ist eine Entscheidung über den Schutzstatus der habitatbaumreichen Abteilung 38 weiter hinausgeschoben.

Den Antrag auf Erweiterung des Märchenwaldes können Sie als PDF-Datei laden.

Erhalt der Biologischen Vielfalt

Eine fortgesetzte Bewirtschaftung der Waldbestände mit Altbäumen um den Märchenwald herum würde das Überleben der altholzbewohnenden Arten auch im Märchenwald gefährden, da seine bisherige Flächengröße von 24 Hektar nicht ausreicht. Wissenschaftler gehen von einer Mindestgröße von 40-60 bzw. 100 Hektar aus, um das jeweilige Artenspektrum mit den auf Altholz angewiesenen Arten dadurch zu sichern, dass es eine Kontinuität von Altbäumen und von unterschiedlichen Waldentwicklungsphasen gibt. Genauer sind diese Kriterien auf der vorigen Seite Biotopverbund für Altholzbewohner erläutert.

Die bisher im Stadtwald markierten Habitatbäume dienen altholzbewohnenden Arten als kleine Trittsteine oder Refugien, werden jedoch alleine keine Habitatkontinuität bewirken, zumal der Stadtwald nach den Untersuchungen von HENDRICKS 2016 einen unterdurchschnittlichen Anteil von Habitatbäumen und Totholz aufweist. Hilfreich sind die NWE-Flächen (= Natürliche Wald-Entwicklung) im Greener Wald. Allerdings umfassen sie andere Lebensräume – trockenere Südhänge mit überwiegend Buchen – und sind nicht ausreichend mit dem Märchenwald vernetzt. Notwendig für den dauerhaften Erhalt vieler im Märchenwald gefunden Insekten- und Pilzarten ist ein Schutz angrenzender Waldflächen auf dem nordexponierten, feuchten Wendfeld.

Mareike Manns hat im Rahmen ihrer Masterarbeit 2019 potenzielle Stilllegungsflächen im Stadtwald Einbeck gesucht und empfiehlt nach Abwägung verschiedener Kriterien die östlich und südlich an den bisherigen Märchenwald angrenzenden Forstabteilungen 38 und 30 aus der Holznutzung zu nehmen (siehe MANNS 2019, Seite 39-41). Diesem auf wissenschaftlichen Erhebungen basierendem Vorschlag folgt der Erweiterungsantrag.

Bedeutung für die Öffentlichkeit

Wegen seiner urigen Waldbilder ist der Einbecker Märchenwald für Spaziergänge und Wanderungen besonders beliebt. Der bestehende Märchenwald ist mit Abteilung 38 durch die Wegschleife über die Köhlerhütte so verbunden, dass sie von den meisten Besuchern als Einheit wahrgenommen werden. Der Märchenwald-Rundweg berücksichtigt das und führt auch durch Abteilung 38.

Als öffentlicher Wald ist der Einbecker Stadtwald am Gemeinwohl orientiert und nicht nur auf das Betriebsziel Holzerzeugung fixiert. Neben dem wirtschaftlichen Aspekt der Holzgewinnung in Teilbereichen hat der Stadtwald zahlreiche weitere Funktionen, wie z.B. Naturschutz, Erholung und Sport. Einbeck hätte eine Vorbildfunktion für andere Stadtwälder, wenn 10% der Waldfläche aus der Nutzung genommen werden, denn mit einer Erweiterung auf diese Mindestgröße würde die Stadt Einbeck punktgenau zum Jahr 2020 das Ziel der Bundesregierung zur Nationalen Strategie zur biologischen Vielfalt erreichen.

Mit wachsender Bekanntheit wird der Märchenwald an touristischer Bedeutung gewinnen und ergänzt die sonst überwiegend auf das Stadtgebiet konzentrierten Sehenswürdigkeiten um ein Naturerlebnis im Wald. Dabei ist die Kombination vom märchenhaften Wald und seiner Geschichte mit dem verschollenen »Abtshof« besonders reizvoll.

Denkmalschutz-Aspekte

Bei Betrachtung der historischen Informationen wird klar, dass der gesamte Wald auf dem Wendfeld zwischen den beiden Landwehr-Erdwällen eine ganz besondere Geschichte hat. Unter diesem Aspekt bekommt eine Erweiterung des Märchenwaldes innerhalb des Wendfelds noch einen anderen Sinn, da in Zusammenhang mit dem Schutzgebiet die Geschichte besser erforscht und vermittelt werden kann. Im aus der Holznutzung genommenen Waldbereich würden auch zukünftige Bodenbeschädigungen der historischen Erdwälle und Wölbäcker durch immer größer werdende Forstfahrzeuge entfallen.

Bei weiterer Bewirtschaftung des Wendfelds – insbesondere bei Vergabe an externe Dienstleister – droht hingegen ein Zerfahren der älteren Landwehr in Abteilung 30 (und Abt. 29, 31). Dann würden anstatt der bisher genutzten Sammelgassen für die Holzernte mit Seilschlepper neue Rückegassen in maximal 30 Metern Abstand mit Harvester und Forwarder befahren werden. Diese verlaufen grundsätzlich hangabwärts, so dass die Landwehr in engen Abständen zerfahren wird.

Die Stadt Einbeck könnte auch überlegen, mehr als das Mindestziel der Biodiversitätsstrategie von 10% vom Stadtwald aus der Nutzung zu nehmen und so der übrigen Waldfläche auf dem Wendfeld eine andere Funktion als die eines möglichst kosteneffektiv bewirtschafteten Wirtschaftswaldes zuzuordnen.

Abteilung 38

Die Abteilung 38 A und B (17,4 Hektar) östlich des bestehenden Schutzgebiets erscheint schon durch ihren direkten räumliche Anschluss ohne trennende befestigte Wege dazwischen, wie ein Teil des Märchenwaldes. Mit fünf Habitatbäumen pro Hektar hat sie im Vergleich mit dem restlichen Stadtwald die höchste Quote an Habitatbäumen! Darunter sind einige sehr markante Alteichen entlang des Rundwegs und weitere große Eichen, Buchen und Bergahorne. Außerdem haben die Untersuchungen von BLENDERMANN und MANNS eine große Bandbreite von Mikrohabitaten und Totholz festgestellt.

Abt38_Herbstwald_pk_thn

In Abteilung 38 wurden seltene Moos- und Flechtenarten nachgewiesen: Die Moosexperten Markus Preußing und Dr. Gunnar Waesch fanden in Abteilung 38 insgesamt 75 Moosarten, darunter solche, die im bestehenden Märchenwald nicht gefunden wurden. Unter den Moosarten gibt es Altwaldzeiger, wie beispielsweise das Gegabelte Igelhaubenmoos (Metzgeria furcata) und das sich sonst stark im Rückgang befindliche Krause Neckermoos (Neckera crispa). Die Untersuchung von Dr. Helga Bültmann ergab 42 Flechtenarten, darunter auch Rote-Liste-Arten, die im bestehenden Märchenwald bisher nicht gefunden wurden. (Siehe auch den Forschungsbericht zu Moosen und Flechten in den Erweiterungsflächen als PDF-Datei).

Insgesamt ist Abteilung 38 aus naturschutzfachlicher Sicht die erste Wahl für eine Märchenwald-Erweiterung. Zwar stehen auch einige Nadelhölzer darin – insgesamt wird Abteilung 38 jedoch von einem besonders struktur- und artenreichen Laubwald eingenommen.

Zusätzlich hat Abteilung 38 eine Art Trittstein-Funktion, indem das Gebiet für Altholzarten eine gewisse Verbindung zu geschützten Flächen der Landesforsten im Greener Wald herstellt (zu Alteichen an der Landwehr in Abt. 2112c, NWE-Flächen weiter östlich).

Abteilung 30

An der gesamten Südseite des bestehenden Märchenwalds schließt jenseits des Forstwegs Abteilung 30 mit 15,4 Hektar an. Sie umfasst den Hang bis zur südlichen (älteren) Landwehr beim Sendeturm auf dem Oelknust.

Obwohl der Bestand an alten Bäumen in diesem Waldbereich arg dezimiert ist und vor allem in westlichen Teilberichen Verjüngungsstadien mit Buche und viel Bergahorn dominieren, kann diese Abteilung das Schutzgebiet Märchenwald gut ergänzen und ein Refugium für die Altholzarten bieten. Das liegt daran, dass die verbliebenen Altbäume (Hainbuchen, Bergahorn und Rotbuchen) in Abteilung 30 oft krumm oder mehrschäftig gewachsen sind und damit besonders viele Mikrohabitate bieten. Auch kommt einiges an Totholz vor.

In dem feuchten Nordhangbereich wachsen besonders auf der Rinde von Ahorn und Hainbuchen seltene Flechtenarten: Die Flechtenspezialistin Dr. Helga Bültmann fand hier die Rote-Liste-Arten Glänzende Kernflechte (Pyrenula nitida), Porenflechte (Pertusaria pertus) und Schriftflechte (Graphis scripta) in höherer Zahl und Größe der Einzelexemplare als im bestehenden Märchenwald. Sie wies 37 Flechtenarten nach – darunter solche, die im bestehenden Märchenwald fehlen.

Unter den 44 Moosarten, die in Abteilung 30 bisher nachgewiesen gefunden wurden, sind einige Altwald- und Naturwaldzeiger. Als gefährdet eingestuft ist das baumbewohnende Glattfrüchtige Goldhaarmoos (Orthotrichum striatum).

Abt30_Pyrenula-nitida_GW_th

Abt30_Pertusia-pertusaria_GW_thn

Märchenwald erweitern!

Eine großzügige Ausweitung des Märchenwaldes bedeutet Erhalt der Biodiversität und das Erreichen des 10%-Ziels von Waldflächen in natürlicher Entwicklung. Die Erweiterung dient aber auch der Naherholung, dem Tourismus und, da alte Wälder mehr Kohlenstoff in Holz und Boden speichern, auch dem Klimaschutz.

Die Folgeseite nennt Beispiele für Städte, die bereits Teile ihres Kommunalwalds aus der Nutzung genommen haben.

Titelfotos: Waldbilder aus den vorgeschlagenen Erweiterungsbereichen des Märchenwaldes.